Die französische Linke: Vom Zauber des Neustarts

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Warum ist die Linke erneut gescheitert? Und liegt nicht im Scheitern immer auch eine Chance, um aus den Einzelteilen wieder ein Gesamtbild zusammenzusetzen, das geordneter, aufgeräumter und letztlich wählbarer erscheint als zuvor - und das noch vor den Parlamentswahlen im Juni?

Präsidentschaftwahlplakate

Die Linke in Frankreich, das war in den letzten Jahren alles andere als eine herzergreifende Geschichte, eher eine traurige Komödie, um nicht zu sagen, ein Drama. Und auch in diesem Jahr ist sie, wie schon 2017, nicht in die Stichwahl um das Präsidentenamt gezogen und wie schon 2017 offenbart ihr Ergebnis eine Spaltung, die sie seit Jahren blockiert und Machtoptionen zunichte macht. Und wie 2017 müssen nun die Wähler*innen wieder zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen wählen und für viele Linke fühlt sich das an wie eine Wahl, die eigentlich keine ist, da man nicht FÜR jemanden und etwas stimmt, von dem man überzeugt wäre. Warum aber ist die Linke erneut gescheitert? Und liegt nicht im Scheitern immer auch eine Chance, um aus den Einzelteilen wieder ein Gesamtbild zusammenzusetzen, das geordneter, aufgeräumter und letztlich wählbarer erscheint als zuvor - und das noch vor den Parlamentswahlen im Juni?

Seit der Sozialist François Hollande aus dem Präsidentenamt geschieden ist und von Emmanuel Macron abgelöst wurde, liegt die Linke am Boden. Die einstmals große Sozialistische Partei (PS) ist geradezu implodiert. Der Kandidat Benoît Hamon, der 2017 Hollande beerben wollte, erreichte historisch schlechte 6,3%. Dieses Mal brach die Kandidatin Anne Hidalgo, ihres Zeichens Pariser Bürgermeisterin, diesen traurigen Rekord sogar mit 1,7% der Stimmen. Angesichts dessen bleibt nicht viel mehr als den klinischen Tod der Partei festzustellen, deren Mitglieder sowieso schon in den letzten Jahren zu Macron oder Mélenchon gewechselt sind. Auch die Grünen mit ihrem Spitzenmann Yannick Jadot kamen gerade mal auf 5%, dabei hatten sie auf Rückenwind durch die grüne Welle der Europa- und Kommunalwahlen sowie die französische Klimabewegung in den letzten Jahren gehofft. Und die schon seit Mitterrand quasi bedeutungslose Kommunistische Partei kam auf knapp 2%. Während die Linken einst durch Allianzen die Mehrheit stellen konnten, sich damit folglich auch Ministerposten aufteilen konnten, zahlen sie heute den Preis einer „linken“ Politik, die nie konsequent links war, sieht man von gesellschaftlichen Projekten, wie der Ehe für alle, ab. Stattdessen wurde eine Politik auf den Weg gebracht, die sich stark auf das „Deutsche Modell“ bezog. Hollande holte seinerzeit Emmanuel Macron, diesen jungen ambitionierten Ex-Banker als Wirtschaftsminister in seine Regierung, der bereits damals anschob, was er fünf Jahre später als Präsident fortsetzen sollte: Neoliberale Reformen des Arbeitsmarktes. Sie beinhalteten den Abbau des Arbeitnehmerschutzes und die Einführung des „Paktes zur Wettbewerbsfähigkeit“ mit großen Steuererleichterung für Unternehmen, was mit 40 Milliarden Verlust für den Staat zu Buche schlug. Das Argument war stets das gleiche: Was auch immer das Kapital, die Gewinnmaximierung blockiert und verhindert, muss abgeschafft werden.

Als Macron 2017 schließlich antrat und ankündigte, er wolle die Spaltung in links und rechts überwinden, hatte er in dieser Hinsicht eigentlich gar nichts mehr zu tun, denn die Linke war programmatisch sowieso schon weiter in die Mitte gerückt. Die politischen Lösungen zwischen links und rechts wurden immer ähnlicher, zumindest was die Wirtschafts- und Finanzpolitik betrifft. So muss man auch Wähler*innen verstehen, die gar nicht mehr zur Wahl gehen oder sich einfachen, radikalen Lösungen zuwenden, weil sie keinen Unterschied zwischen der sogenannten Linken und der Mitte und Mitterechts ausmachen können.

Indes sind neue soziale Kämpfe ausgebrochen, bei denen auch die Bipolarität zwischen links und rechts keine Rolle mehr spielt, wie das Beispiel der Gelbwesten gezeigt hat.  Hier hätte die Linke eigentlich eine neue Chance wittern können, doch sie konnten die Dynamik der Straße nicht in Stimmen für sich umwandeln.

Dennoch gab es seitens der Linken interessante Versuche die Wähler*innenschaft zurückzugewinnen: So veranstaltete beispielsweise der kommunistische Kandidat Fabien Roussel während des Wahlkampfs ein «Apé’Roussel» - also eine Kombination aus Apéritif und Politik mit einem Stück Fleisch im Mittelpunkt. Während des Wahlkampf verteidigte er immer wieder den Fleischkonsum, um sich als Gegensatz einer Verbotspartei zu stilisieren. Ziel war es so ein positiveres und glücklicheres Linksprogramm aufzustellen. Anne Hidalgos Wahlkampf, die Kandidatin der ehemaligen großen Volkspartei Parti socialiste, versuchte die «soziale Demokratie» zu retten, während die revolutionären Kandidat*innen Phillipe Poutou und Nathalie Artault mit guten Pointen und Humor eine Alternative zum Kapitalismus vorgestellt hatten. Europe Ecologie Les Verts mit dem einzigen Kandidat, der sich erst in einer parteiinternen Vorwahl durchsetzen musste, Yannick Jadot, fiel es schwer ökologische und Klimathemen auf die Agenda zu bringen – und damit zu punkten. Hinzu kam eine schwierige Debatte über die Energiewende in einem europäischen Kontext, der erschüttert war von dem Angriffskrieg Russlands.

Unter dieser Vielzahl der Kandidat*innen und deren Methoden ist die Erscheinung des sogenannten «vote utile» (deutsch: nützliche Stimme) von besonderer Bedeutung. Dem französischen Wahlsystem geschuldet wählen viele Wähler*innen im ersten Wahlgang nicht unbedingt den*die Kandidat*in mit den größten ideologischen Übereinstimmungen, sondern denjenigen mit den größten Chancen in den 2. Wahlgang zu gelangen. Auf den letzten Metern ist es noch Jean-Luc Melenchon gelungen, wieder Wähler*innenstimmen an sich zu ziehen und ein Programm vorzuschlagen, das linke Ideen mit Ideen der Grünen und Sozialisten vereint. Er landete damit auf dem dritten Platz und verpasste mit 421.420 fehlenden Stimmen zu Le Pen nur knapp den Einzug in die Stichwahl.

Einer der Vorschläge Mélenchons ist die Gründung einer Sechsten Republik, also eine Neuordnung der Institutionen mit mehr Repräsentation des Volkswillens – eine bessere Vertretung der politischen Mächte Frankreichs, mit einer Verhältniswahl wurde auch von Yannick Jadot vorgeschlagen. Darüber hinaus plädiert Mélenchon für den Ausstieg aus der Atomkraft, die Rente mit 60 und Steuern auf sehr hohe Einkommen. Zudem will er den Stabilitätspakt aufweichen,die europäischen Verträge neu verhandeln sowiemehrin das Gesundheitswesen und in die Infrastruktur des Landes investieren.

Allerdings ist die Figur Mélenchon für viele linke Wähler*innen ein Problem. In dem Bereich der Außenpolitik zeigte er sich auf einem Drahtseil und bezieht sich auf die sehr spezifische französische Eigenschaft: Ein Rückzug aus der integrierten Kommandostruktur der NATO und die Idee eines «blockfreien» Frankreichs. Oft verschrien als unsympathisch, unverschämt oder arrogant ist seine Bemerkung „Die Republik bin ich“ zu einem Bonmot avanciert, spricht aber Bände was sein überbordendes Ego angeht. Jadot hingegen ist vielen Wähler*innen durchaus sympathischer. Er hat jedoch nicht die gleiche Geltungsmacht und zieht somit weniger Stimmen auf sich.

Wiederbelebungsmaßnahmen von Nöten

Nach dem Scheitern bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen versucht Mélenchon nun einen solideren linken Block aufzubauen, ein neues, reales Kraftzentrum auf der linken Seite zu schaffen, denn schon im Juni stehen die Parlamentswahlen an. Dazu rief er am 19. März die Franzosen auf, ihn als Ersten Minister zu ernennen. Ohne neue Bündnisse mit den „befreundeten Parteien“ (Grüne, Kommunisten) wird es wieder nichts werden, daher setzt er alles daran schon im Vorfeld die Zusammenarbeit zu verhandelt: Der Plan besteht darin, pro Wahlkreis nur einen Kandidaten oder eine Kandidatin aufzustellen und die Mehrheit einfacher zu erlangen. Laut Manuel Bompard, Mélenchons Wahlkampfsleiter, könnte es in 420 Landkreise (von 577 Landkreise) der Fall sein. Noch sind die Sozialisten nicht an Bord denn Anne Hidalgo hatte im Wahlkampf immer wieder gegen Mélenchon gefeuert. Nun bleibt bis zum Juni abzuwarten, ob das linke Spektrum sich verständigen kann und ob es ihnen gelingt, eine linke Dynamik ins Rollen zu bringen. Wer weiß? Manchmal regt sich in Frankreich schneller Widerstand als man denkt. Manchmal sind plötzlich die Universitäten besetzt und die Straßen voller Menschen ...  dann kann aus einem kleinen Aufflammen neuer linker Glut durchaus ein Feuer entfacht werden.